„Colorblindness“, Der weisse Anwalt und nicht-weisse Mandantschaft
„White Lawyering: Rethinking Race, Lawyer Identity, and Rule of Law“ von Russel G. Pearce – Eine Zusammenfassung *1
Sarah Lisa Washington*2
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Einleitende Worte
In seinem Aufsatz „White Lawyering: Rethinking Race, Lawyer Identity, and Rule of Law“*2 beschäftigt sich Russell G. Pearce damit, was es für einen Juristen bei Ausübung seines Berufs für eine Bedeutung hat, weiss zu sein. Diese Thematik sei gerade deshalb wichtig, weil weisse Menschen sich mit dieser Thematik häufig nicht auseinandersetzen würden. Für diese sei „Rasse“ eine Problematik der schwarzen Menschen, nicht aber für sie. Dieser Ansatz ist seiner Ansicht nach für Anwälte sehr bedenklich. Es sei für schwarze und weisse Anwälte wichtig eine erhöhte Kompetenz in diesem Bereich zu erwerben, indem offen über Rassismus gesprochen wird. Dies sei eine Grundvoraussetzung um Mandanten kompetent vertreten zu können und eine Gleichbehandlung vor dem Gesetz auch faktisch zu erreichen. Weisse Anwälte sehen ihr „Weisssein“ oft automatisch als die Norm und erkennen daher ihre eigene „Rassenzugehörigkeit“ nicht. Diese Thematik scheint ihnen primär ein Problem der People of Color und nicht ebenso ihres zu sein. Er verweist auf die Forschungsarbeit von Robin Ely und David Thomas, welche demonstriere, dass eine offene Auseinandersetzung mit diesem Thema es erlauben würde, Mandanten auf die best möglichste Art und Weise zu vertreten, sowie Gleich- behandlung zu gewährleisten. Die derzeitigen Bemühungen um „Colorblindness“ seien gerade nicht geeignet, diese Ziele zu erreichen. Ein bloßes Ignorieren von gesellschaftlichen Problemen könne nicht die Lösung für das Ziel einer tatsächlichen Gleichbehandlung von schwarzen und weissen Menschen sein. Dessen müsse sich ein Anwalt bei seiner Arbeit bewusst sein. Dies beginnt zunächst einmal bei der Erkennung und Wahrnehmung seiner eigenen Identität.
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Intergroup Theory
Die sog. „Intergroup Theory“ biete eine Möglichkeit, Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen in Organisationen zu verstehen, zu erklären und vorherzusehen. Nach dieser Theorie bestimmen Faktoren wie die „Rasse“ die Leitung innerhalb einer Gruppe. Von dem Begriff der Organisation umfasst sei das Rechtssystem als solches, juristische Fakultäten, Kanzleien und Gerichte. Kurz: der gesamte Berufsstand. Innerhalb einer solchen Organisation werden Individuen von mindestens drei verschiedenen Machtfaktoren geformt: Erstens ihre individuelle
Persönlichkeit, zweitens die Gruppe mit denen sie sich zu einem Großteil identifizieren können und
drittens die Gruppe, mit denen sie von anderen in Verbindung gebracht werden. Ob sie mit denen nun in Verbindung gebracht werden möchten oder nicht. Die zwei entscheidenden Gruppen innerhalb einer Organisation seien wiederum die Identitätsgruppen und daneben die Organisationsgruppen. Bei der Zugehörigekeit zu der Berufsgruppe des Anwalts, handelt es sich um eine Organistaionsgruppe. Die Zugehörigkeit zu einer Organisationsgruppe basiert auf Aufgabe, Funktion und Hierarchie. Zu der Organisationsgruppe der Anwälte zu gehören beinhaltet ähnliche Aufgaben, vergleichbare Erfahrungswerte und vergleichbare Sichtweisen. Während alle Anwälte zu einer Organisationsgruppe gehören, kann diese Gruppe wiederum weiter in verschiedene Untergruppen unterteilt werden ( beispielsweise: Partner, Associates, Richter ).
Die Zugehörigkeit zu einer Identitätsgruppe leitet sich aus Faktoren außerhalb der Organisation ab.
Mitglieder der gleichen Identitätsgruppe teilen, so Pearce, gemeinsame biologische Charakteristiken, historische Erfahrungen und daher auch ähnliche Sichtweisen der Welt. Die Zugehörigkeit zu einer Identitätsgruppe ist äußerst mächtig und bestimmt Faktoren wie Leitung innerhalb einer Organisation. Eine Zugehörigkeit zu einer Identitätsgruppe beginnt mit der Geburt und endet erst mit dem Tod eines Menschen. Anders beginnt die Zugehörigkeit zu einer Organistaionsgruppe erst später und kann sich im Laufe des Lebens ändern, indem die jeweilige Organisation gewechselt wird. Laut der „Intergroup Theory“ versuchen Individuen und Organisationen bewusst oder unbewusst potentielle Konflikte zu bewältigen, die sich aus Überschneidungen von Identitäts -und Organisationsgruppen ergeben. Bezieungen zwischen Organisations- und Identitätsgruppen werden davon geformt, wie diese Gruppen in die Organisation eingebettet sind und davon wie die Organisation in ihre Umgebung eingebettet ist.
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Der weisse Anwalt
Russel G. Pearce beschreibt ein Seminarprojekt, welches er zum Thema „Intergroup Theory“ mit seinen Studenten an der University of Pennsylvania durchführte. Die Schüler hatten die Aufgabe sich selbt sogenannte in Identitätsgruppe einzuteilen und ihre Erfahrungen als Jurastudenten_innen zu beschreiben. Die Einteilung erfolgt dabei in vier Gruppen: Women of color, men of color, weisse Frauen und weisse Männer. Diese Einteilung wird von der Annahme bestimmt, dass für die meisten Menschen die vermeintliche ethnische Zugehörigkeit sowie das Geschlecht das hervortretendste Merkmal ist. Innerhalb dieser Gruppen kann dann wahlweise eine genauere Einteilung stattfinden. Die Klassendiskussion beginnt dann damit, welche Rolle die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Gruppe bei Erfahrungen als Jurastudent hat. Der Autor merkt an, dass sofort auffällt, wie vor allem weisse Studenten davor zurückschrecken sich auf Grundlage ihrer „Rasse“ in eine Gruppe einzuordnen, während schwarze Studenten bemerken, dass eine solche Gruppenzu- gehörigkeit sehr wohl ein entscheidender Faktor in ihren Erfahrungen als Studenten ist.
Pearce beschreibt, wie er in den Jahren als Professor immer wieder festellte, dass wenn er und weisse Studenten mit Anzug in einen Gerichtssaal liefen, regelmäßig für Anwälte gehalten wurden, während schwarze Schüler mit Anzügen immer wieder für eine Partei in einem Rechtsstreit gehalten werden. Ebenso schildert er die Erfahrungen eines schwarzen Richters, der immer wieder für den Pförtner gehalten wird. Sein eigenes Bild sei geprägt von der Tatsache, dass Weisse die dominante Gruppe unter den Juristen sind: 83,2 % der Richter in den USA, 89,2 % der Anwälte und 79,5 % der Studenten sind weiss. Innerhalb der Gruppe der Partner in einer Kanzlei sind 98 % weiss. Als die dominate Gruppe sei es daher leicht, sich keiner bestimmten Gruppe zugehörig zu fühlen. Man wird schließlich als die Norm empfunden. So wird häufig beispielsweise auch in Zeitungen betont, wenn ein Anwalt schwarz ist. Hingegen nichts dazu gesagt, wenn er weiss ist. Der weisse Anwalt wird damit zur Norm erklärt. Nach einem Zitat von Clayton P. Alderfer vermeiden weisse Menschen, wenn möglich, das Thema Rassismus und sobald dies nicht möglich ist, werden diesbezügliche dynamische Prozesse kategorisch abgelehnt.
Die Erfahrungen von weissen und schwarzen Anwälten sind nach dem Aufsatz von Pearce ziemlich unterschiedlich. Als Minderheit in der juristischen Berufsgruppe haben schwarze Menschen keine andere Wahl als sich mit weisser Kultur zu beschäftigen. Ihnen sei sehr wohl bewusst, dass sie nicht die dominierende Kultur repräsentieren und als Konsequenz daraus nicht unbedingt die selbe Autorität inne haben. Pearce kommt zu dem Ergebnis, dass wenn weisse Anwälte, Richter und Gerichtspersonal davon ausgehen, dass seine schwarzen Studenten keine Anwälte sind, denken sie an die relativ kleine Distribution von Macht an schwarze Menschen im Allgemeinen. Die Unstimmigkeit bzgl. der mit Autorität verbundenen Position eines Anwalts verkompliziert diesen Beruf für einen schwarzen Menschen
Er merkt weiterhin an, dass die „Rassenidentität“ für einen Anwalt wesentlich ist aber nicht unbedingt bestimmend sein muss. Erfahrungen, die mit Organisations- und Identitätsgruppen gemacht werden liefert Datenmaterial. Entscheidend komme es nun auf den Umgang mit solchen Daten und Erfahrungswerten an. Eine Möglichkeit bewusst mit der Problematik umzugehen, ist ein offener Diskurs über Identitätsfragen und damit auch über den Unterschied zwischen dem Beruf eines schwarzen und eines weissen Anwalts.
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Symbiose zwischen Weisssein und Professionalität als Untergrabung der Arbeit eines weissen Anwalts
Die meisten Anwälte berücksichtigen die Identität einer Person nicht. Sie sind von der Vorstellung geleitet, dass dieser Faktor keine Rolle spielt. Dabei folgen sie der Neigung vieler weisser Menschen, solche Themen zu vermeiden oder für unerheblich zu erklären. Pearce regt daher weisse Anwälte dazu an, sich über ihre eigene Identität Gedanken zu machen und auch auf die Art und weisse zu achten, wie ein Fall durch die zugeschriebene Herkunft eines Klienten beeinflusst werden könnte. Die Scheu davor solche Themen auch vor Gericht anzusprechen muss seiner Ansicht nach überwunden werden, um zu gewährleisten, dass ein Anwalt bestmögliche Arbeit leisten kann. Ein Umdenken von dem sog. „color-blindness“ Standpunkt hin zu einer Selbstreflektion scheint daher gerade für den Berufstand des Anwaltes geboten. Das Hinwegdenken von Identitätsgruppen ist weniger effektiv als die Anerkennung solcher.
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Zusammenfassung
Die „Intergroup Theory“ liefert uns die Möglichkeit, Ziele innerhalb einer Organisation best- möglichst zu erreichen und Faktoren der Identität dabei berücksichtigen. Ein guter Anwalt wird sein eigenes „Weisssein“ nicht ignorieren, sondern in seine Arbeitsweise einbringen. Gleichzeitig wird er das Thema Rassismus nicht abtun, sondern in seine Fallarbeit einfließen lassen und sich bemühen dieses Thema auch aus Sicht seiner Mandanten zu sehen. All das führe, letztlich zu einer kompetenteren Interessenvertretung seiner Klienten.
*1 erschienen in: Fordham Law Review ( 2005 )
*2 studiert Rechtswissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin; Mitglied der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte; hat bei KOP Praktikum absolviert