Eskalation in Hamburg-Altona

Eskalation in Hamburg-Altona

taz.de, 14.7.13
Eskalation in Hamburg-Altona
„Sind wir gefährlich?“

In Hamburg-Altona rückt die Polizei seit Tagen zu Großeinsätzen aus.
Gegen jugendliche Randalierer, so heißt es. Die Anwohner fühlen sich
schikaniert. von Lena Kaiser, Kristiana Ludwig

HAMBURG taz | Die Hunde bellen nicht mehr, die Autos sind stehen
geblieben. In diesem Moment ist es still auf der Holstenstraße. Die
Jungen aus der Nachbarschaft, die hier im Hamburger Stadtteil Altona
wohnen, haben ihre Arme untergehakt. Rund 80 von ihnen stehen Schulter
an Schulter auf dem Asphalt.

Ihnen gegenüber, mit schwarzen Anzügen und weißen Helmen, haben sich die
Polizisten vor ihre Mannschaftswagen gestellt. Es sind fast genauso
viele. „Ihr seid selber schuld!“, ruft ein Junge herüber. Dann brüllen
sie alle: „Haut ab, haut ab!“

Es ist die dritte Nacht in Folge, dass Anwohner und Polizei in dieser
Straße aufeinander treffen. Am Donnerstagabend hatten Polizisten 16
Jugendliche im Alter zwischen 17 und 26 Jahren festgenommen, laut
Polizei wegen des Verdachts auf Widerstand und Landfriedensbruch. Die
Beamten seien angerückt, weil sie von Autofahrern angesprochen worden
seien: Jugendliche hätten sie mit Laserpointern geblendet. Als die
Polizisten aus dem Streifenwagen stiegen, seien sie beschimpft worden.

Doch die Anwohner schildern den Abend anders: Die muslimischen Kinder
und Jugendlichen, die sich im Fastenmonat Ramadan nach Sonnenuntergang
am Kiosk „Azra“ treffen, um dort gemeinsam zu essen, seien von den
Beamten überrascht worden. Grundlos hätten sie die Jungen umstellt, um
ihre Ausweise zu kontrollieren.
Einem wurde die Nase gebrochen

Einen 15-Jährigen, der versucht habe, wegzulaufen, hätten sie so fest
gegen eine Fensterscheibe geworfen, dass diese zerbrach. Die Polizisten
hätten sie unvermittelt mit Pfefferspray besprüht. Einem Jungen sei die
Nase gebrochen worden, ein anderer habe durch die Schläge der Polizisten
sein Bewusstsein verloren.

Aus Protest, sagt eine Frau am nächsten Tag, hätten sich die Mütter aus
dem Viertel anschließend auf die Straße gesetzt. Es seien „randalierende
Jugendliche in Altona“, hat sie anschließend im Radio gehört: Das sei
Diskriminierung, sagt sie, Rassismus. Die Frau trägt ein langes Kleid
und ein Kopftuch. An diesem Freitagabend geht sie mit ihrem Mann den
Bürgersteig vor dem Kiosk auf und ab.

Ganz schön was los in Hamburg-Altona.  Bild:  dpa

Einige der Jungen, die die Nacht in der Zelle verbracht haben, haben
sich hier auf die Holzbänke gesetzt. Sie trinken Fruchtsaft aus
Tetrapacks und essen Kartoffelchips. Alle paar Minuten fährt heute ein
Polizeiwagen an ihnen vorbei. „Schon wieder“, sagen sie dann.

Eine Stunde später, gegen 23 Uhr, ist es voll geworden. Rund 100
Menschen stehen jetzt an der Holstenstraße – Eltern, Kinder, junge
Muslime, die aus anderen Teilen Hamburgs gekommen sind und Leute, deren
Gesichter die Nachbarn heute zum ersten Mal sehen: Ein alter Mann mit
langem Haar hat ein rotes Anarchie-Symbol auf seine löchrige Fahne
gemalt. Frauen und Männer mit Kapuzenpullovern kaufen im „Azra“ Club
Mate und warten ab.
„Geht da nicht hin“

Die Polizeiwagen fahren mittlerweile öfter, in Kolonnen. Auf der
Holstenstraße schalten sie ihr Blaulicht ein oder das Martinshorn, nur
kurz, um dann abzubiegen. Wenig später explodieren hundert Meter
entfernt Böller. „Geht da nicht hin“, sagt die Mutter eines Jungen. „Das
ist wie die Fliegen, die ans Licht gehen“, sagt ihr Mann. In einer
Seitenstraße brennen jetzt zwei Autos.

Seit gut einer Woche hat die Polizei die Kontrollen in Altona
verschärft. „Schwerpunkteinsätze“, nennt das die Polizei, weil es in den
vergangenen Wochen „vermehrt zu Straftaten von Jugendlichen und jungen
Erwachsenen gegenüber Anwohnern gekommen“ sei.

Die Anwohner beklagen, dass Jugendliche in den letzten Tagen in einem
Park am Haus Drei, einem Stadtteil- und Kulturzentrum, und den
umliegenden Straßen zum Teil mehrmals täglich von der Polizei
kontrolliert wurden. „Die Polizisten wissen schon besser, wie ich heiße
als meine Mutter“, sagt einer von ihnen: „Ich komme wegen der
Personenkontrolle zu spät zur Arbeit. Deshalb habe ich eine Abmahnung
bekommen.“

Die Polizeigewerkschaft hat am Freitagnachmittag eine Pressemitteilung
verschickt. Der Tonfall ist scharf: „Wer Polizisten angreift, muss
Null-Toleranz und gesellschaftliche Ächtung erfahren.“
Dann gibt es einen Deal

Es ist nach Mitternacht, als die Menschen vom Kiosk zu den
Mannschaftswagen gehen, die auf der anderen Straßenseite parken. „Sind
wir gefährlich?“, ruft einer. „Können Sie nicht deeskalieren?“, fragt
ein Vater einen Beamten. „Die Frage ist doch: Warum ist es provozierend,
wenn wir hier sind?“, fragt der zurück. „Sie fahren die ganze Zeit hier
lang“, sagt der Mann. „Das ist Ihre Sichtweise“, sagt der Polizist.

Ob es denn keinen Sprecher gebe, will der Mann wissen. „Wir würden gern
in einen Dialog mit Ihnen treten.“

Schließlich kommt der Revierleiter, Gerd Malachowski. „Darf ich zwei
Familienväter zum Gespräch mitnehmen?“, fragt der Mann. Er darf. Die
Kontrollen hätten sich seit einer Woche verschärft, räumt Malachowski
ein, und zu dem Einsatz am Vorabend: „Sie haben die Möglichkeit, Anzeige
zu erstatten.“ Es ist ein langes Gespräch, das die Männer führen, in
einer Traube aus Kindern und Punks. „Auch Polizeibeamten machen Fehler“,
sagt Malachowski zum Schluss.

Am Montag sollen die Männer zur Polizeiwache kommen, um über die
Probleme im Viertel zu sprechen. Dann fahren die Mannschaftswagen ab.
Wenn ihr geht, gehen auch wir, das ist der Deal.

Doch am nächsten Abend ist der Gehweg vor dem „Azra“ wieder voll. Ein
Zwischenfall in der Nachbarschaft: Eine Personenkontrolle bei einer
Handvoll Jungen. Einer von ihnen, mit schwarzer Hautfarbe, sei von einem
Polizisten als „Affe“ beschimpft worden. Das spricht sich schnell herum.
Böller explodieren. Dann kommen die Polizisten. „Machen Sie die Fahrbahn
frei“, sagt die Polizei durch. „Ihr zuerst!“, rufen die Jugendlichen.
„Geht zurück zum Kiosk“, sagt ein alter Mann. Sie gehen.

Am Sonntagnachmittag versammeln sich rund 200 Nachbarn im Park. „Die
Polizei treibt unsere Kinder dahin, dass sie sich nationalisieren“, sagt
eine Mutter. Die Eltern ließen sich das nicht gefallen.

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