„ICH SEHE IHN NOCH LIEGEN“

Sie leiden noch heute darunter?” Der Richter beobachtet den Zeugen nachdenklich. Der nickt stumm. Er ist von Beruf Krankenpfleger in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Was jetzt anläßlich der Gerichtsverhandlung wieder über ihn kommt – die Bilder, die Gerüche, die Schreie, das stumpfe Achselzucken, die hilflose und die feige Untätigkeit, das Gefühl, damals dabeigewesen zu sein, als ein Mensch viehisch traktiert wurde, bis es zu Ende ging mit ihm: diese Erinnerungen quälen den Zeugen bis heute.

Es quält ihn die Schuld, auch wenn er nicht zu den Angeklagten gehört, die eigene Schuld und die der anderen, der Kollegen und Vorgesetzten, mit und unter denen er weiterhin arbeiten muß. Es quält ihn, die Wahrheit über sich und die anderen auszusprechen. Daß er sich überwand, daß er den Mut hatte, verdient Respekt.

“Außer daß Sie durch das Gitter sahen, mit ihm sprachen und ihn loszuwerden versuchten – ich muß Ihnen das leider sagen -, haben Sie nichts getan. Sie haben dem Mann die Hilfe verweigert, die Sie und nur Sie hätten leisten können.” Die Worte des Richters an die Ärztin entbehrten nicht der Schärfe. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13686002.html

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