Oury Jalloh: Kundegebung

Oury Jalloh: Kundegebung

 

Dessau am 7. Januar 2005. Oury Jalloh liegt an Händen und Füssen gekettet auf einer feuerfesten Matratze in einer Polizeizelle. Unter bis heute ungeklärten Umständen bricht ein Feuer aus. Oury Jalloh verbrennt in seiner Zelle – trotz Feuermelder und heute nachgewiesenen Hilferufen über die Überwachungsanlage.

 

Ein Feuer ohne Fremdeinwirkung? Oder Selbstmord? Die Dessauer Staatsanwaltschaft geht bis heute von letzterem aus, obwohl eine zweite Obduktion des Leichnams auf die Brüchigkeit der polizeilichen Version hindeutet. Ein Freund hatte auf dieser zweiten Obduktion bestanden, die erstaunliches an Licht brachte: Oury Jalloh hatte ein gebrochenes Nasenbein, zerstörte Trommelfelle und Einbrüche in den Siebbeinplatten der Nase. Im Mai 2005 wird vor dem Landgericht von Dessau eine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung gegen zwei der anwesenden Polizisten eingereicht. Bei einem der beiden angeklagten Polizisten wurden die Ermittlungen auf Grund “mangelnder Beweislage” eingestellt. Für das zweite Verfahren forderte der Richter kürzlich weitere Untersuchungen an.

 

Seit weit über zehn Jahren verweisen Menschenrechtorganisationen, wie Amnesty International, auf Misshandlungen und den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt durch Polizeibeamte, vor allem gegen über Flüchtlingen und Migrantinnen. So schreibt die Organisation in ihrem Jahresbericht 2004: “Einige der mutmaßlichen Opfer polizeilicher Übergriffe haben schwere Verletzungen davongetragen, die sie teilweise zwangen, sich in stationäre Behandlung zu begeben. Ein Mann erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen, die er sich in der Polizeihaft unter wiederholten Schlägen und Fußtritten zugezogen hatte.” 20 Fallbeispiele zählt der Bericht auf, 16 Personen sind ausländischer Herkunft.

 

Außerdem dokumentiert der Bericht mehrere Fälle, bei denen unbewaffnete Personen von der Polizei unter umstrittenen Umständen erschossen wurden. “Es besteht der Verdacht, dass Polizeibeamte von ihrer Schusswaffe Gebrauch gemacht haben, ohne dass eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit von Menschen bestanden hat, und dass ein etwaiges

Gefährdungsrisiko auch mit weniger radikalen Mitteln hätte abgewendet

werden können.”

 

Von “reinen Einzelfällen” und “Diffamierung” spricht dagegen die Gewerkschaft der Polizei. Die Statistik der Antirassistischen Initiative Berlin zeigt dagegen, dass der so genannte Einzelfall System hat. Zwischen 1993 und 2005 starben zwölf Flüchtlinge bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen in der BRD. Mindestens 380 wurden verletzt, davon 127 durch Bewachungspersonal in

Haft. Es ist davon auszugehen, dass diese Liste nur die Spitze eines Eisberges darstellt, die Dunkelziffer dürfte ungleich höher liegen. Offizielle Kriminalstatistiken über Misshandlungen und Gewalttaten bundesdeutscher Polizisten und anderer staatlicher Vertreter existieren nicht. “Dürre statistische Angaben liefern die Innenministerien jährlich über den Schusswaffengebrauch. Über andere Formen polizeilicher Gewaltanwendung liegen nur wenige Daten vor. Soweit es ersichtlich ist, gab und gibt es in Deutschland keinen systematischen Versuch, die Bedeutung

(physischer) Gewalt für die Polizei zu bilanzieren,” so Norbert Pütter,

Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.

 

Zufall oder Desinteresse?

“Unsere Polizei macht einen guten Job?” sagt Sachsen-Anhalts Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) im Februar 2005 in der taz und stellt sich damit schützend hinter seine Polizisten. Denn die Polizei handelt nicht im politikfreiem Raum. Ihnen wird von Seiten der Politik ein ausgeprägtes Regelwerk an die Hand gegeben, dass ihr Handeln anleitet. “Die indirekte und die direkte Bedeutung politischer Entscheidungen für Übergriffe wird besonders an den sogenannten “verdachts- und ereignisunabhängigen Personenkontrollen” deutlich, die in den letzten

Jahren in den meisten deutschen Polizeigesetzen verankert wurden und den

Polizeien Raum für neue Kontrollstrategien geben. Da weder ein bestimmter Verdacht noch ein bestimmtes Verhalten die Personenkontrollen auslösen, bleiben den PolizistInnen nur äußerliche, sichtbare Merkmale von Personen. Neben der Kleidung, der Haartracht oder dem Fahrzeug, mit dem man unterwegs ist, ist die Hautfarbe und/oder die ethnische Herkunft einer Person ein solches sichtbares Merkmal. Die wenigen bekannten Daten zeigen, dass AusländerInnen von verdachtsunabhängigen Kontrollen erheblich häufiger als Deutsche betroffen sind,” so Püttner. Die “Schleierfahndung” passe sich deshalb in den von rassistischen Vorurteilen geprägten Kriminalitätsdiskurs ein. Im Klartext heißt das: Durch die hohe Zahl an Überprüfungen – weil verdächtig – bestätigen sich die Kriminalitätsgefahren durch AusländerInnen und für die Polizei wird das bekannte Feindbild festgeschrieben.

 

Seit dem Zusammenrücken Europas wurde die Abwehr von Flüchtlingen und MigrantInnen, die versuchen, ihrer miserablen Lebenssituation in ihren Herkunftsländern zu entfliehen, zur Chefsache erklärt. Die Folge sind Verschärfungen der Asylgesetzgebungen, ausgebaute sogenannte Sicherheitspakete und Abschotten an den Aussengrenzen. Doch das ist nur die eine Seite. Offiziell als Folter eingestufte Methoden waren und sind auch in deutschen Polizeistuben gängig. Drei Menschen starben infolge eines polizeilich angeordneten Brechmitteleinsatzes bevor diese Zwangsmaßnahme vom europäischen Gerichtshof mittlerweile verboten. Auch die gängige Fixierung durch erzwungene Zwangslage der Flüchtlinge in so genannten Ruhigstellungszellen, also die gewaltsame Ankettung an Händen und Füssen, der auch Oury Jalloh unterzogen wurde, wurde vom Anti-Folter-Ausschuss des Europarates (CPT) am 6. Juli 2001 und im Frühjahr 2003 als Folter eingestuft. In Deutschland darf sie ganz offiziell immer noch angewandt werden.

 

All das zeigt: Selbst wenn Oury Jalloh sich auf wundersame Weise selbst angezündet haben sollte, so ist er doch getötet worden. Getötet von einem System,

in dem Menschen seiner Herkunft und ohne Geld keinen Platz finden sollen.

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