Stellungnahme zu rassistischer Polizeigewalt am 6.6.2020 in Berlin von isd Jun 9, 2020
Bei den Berliner Protesten am vergangenen Samstag anlässlich des Mordes an George Floyd durch weiße Polizisten in den USA, rief uns die deutsche Polizei eindrücklich in Erinnerung, dass auch hierzulande rassistische Polizeigewalt zum Alltag gehört.
Die vielen antirassistischen Demonstrationen des letzten Samstags hatten zum Ziel, die Aufmerksamkeit auch auf den Rassismus in Deutschland zu lenken.
Seit vielen Jahren kämpfen Aktivist*innen und Organisationen gegen den Rassismus des deutschen Staates in all seinen Institutionen. Besonders rassistische Polizeigewalt ist dabei immer wieder ein zentrales Thema. Mit Kampagnen wie Ban!Racial Profiling, Justizwatch, Death in Custody setzen sie sich seit Jahren dagegen ein.
Und so wurden wir auch am vergangen Samstag Zeug*innen der willkürlichen Festnahme vieler Demonstrant*innen. In zahlreichen über Social Media verbreiteten Videos mussten wir sehen, dass junge Schwarze Menschen von der Polizei nicht nur ohne ersichtlichen Grund, sondern zudem auf brutalste Weise festgenommen wurden.
Es ist zynisch, wenn auf einer Demonstration anlässlich eines rassistischen Mordes schon wieder weiße Polizisten im Nacken Schwarzer Menschen knien. Es ist außerdem grotesk und offenbart den scheinheiligen Charakter der Debatte, dass uns die Nachrichten von rassistischer Polizeigewalt aus den USA erreichen und sogar in den bekannten deutschen Medien darüber berichtet wird, die rassistische Gewalt deutscher Polizist*innen aber nicht thematisiert oder sogar bestritten wird.
Ein Großteil der aktuellen Berichterstattung über den letzten Samstag betreibt und fördert einen Diskurs der Täter-Opfer-Umkehr. Oft wurde unkommentiert die polizeiliche Darstellung reproduziert. Durch Aussagen wie vom Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei dass Teilnehmende mit ihren Schildern provoziert hätten, wird die Unverhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen deutlich. Damit werden die oft sehr jungen Personen, die von polizeilichen Schikanen und Übergriffen betroffen sind und von denen überproportional viele Schwarz oder of Color sind, zu Täter*innen gemacht. Es wird ein Narrativ geschaffen, in dem die bloße Teilnahme an den Demonstrationen einen Grund für polizeiliche Übergriffe liefert.
Da viele von uns selbst vor Ort waren und bis zum jetzigen Augenblick Zeug*innen-Berichte & Video Material zu den einzelnen Fällen zusammentragen und auswerten, besteht für uns kein Zweifel daran, dass diese polizeilichen Gewaltexzesse, Schikanen und Bedrohungen von jugendlichen Demonstrant*innen von einem rassistischen Klima geprägt sind.
Ebenso würden wir auch die mediale Berichterstattung beurteilen, die zwar vereinzelt von Polizeigewalt berichtet, aber weitestgehend die Positionierung der Betroffenen und die rassistische Motivation der Angriffe unterschlägt.
Laut Medienberichten ist von 93 Verhaftungen die Rede. Doch für mindestens zwei Schwarze Teilnehmer*innen endete die Demonstration nach polizeilichen Übergriffen sogar im Krankenhaus. Von den Inhaftierten – teils Minderjährigen – wurden einige erst weit nach 24 Uhr entlassen.
Wenn drei junge Frauen mit Schildern, die ihren Unmut über Polizeigewalt ausdrücken, auf dem Weg nach Hause, Anlass genug bieten, dass zwei von ihnen sich kurzer Hand in einer Situation befinden, in der sie grob und ohne rechtliche Grundlage festgenommen werden – könnten wir von polizeilicher Willkür sprechen. Wenn wir aber wissen, dass die dritte Freundin nicht mal von den Polizisten beachtet wurde, ob wohl sie das gleiche Schild wie ihre beiden verhafteten Freundinnen trug, und der einzige Unterschied darin bestand, das sie weiß ist und ihre beiden Freundinnen Schwarz sind, lässt sich hier wohl nicht mehr von reiner Polizeiwillkür sprechen, sondern ganz klar von rassistischer Polizeigewalt.
Eine minderjährige Person of Color wurde von der Polizei unter anderem bespuckt und rassistisch beleidigt, dann abgeführt und im Regen mit den Händen auf dem Rücken eine Stunde lang sitzen gelassen, er wurde gefesselt verhört und anschließend komplett durchnässt wieder ins Freie gesetzt.
Diese und weitere Bilder und Berichte zeugen davon, dass Schwarze Menschen und Menschen of Color im Anschluss an die angemeldeten Kundgebungen auf ihrem Weg nach Hause, beim Verweilen mit Freund*innen oder dabei wie sie sich am Alexanderplatz etwas zu essen kaufen wollten, plötzlich angegriffen und kriminalisiert wurden.
Die fehlende Bereitschaft der Polizist*innen, offensichtlich unverhältnismäßig agierende Kolleg*innen zurückzuhalten und zu intervenieren, erschreckt. Ein Video zeigt eindeutig, wie Kolleg*innen hinzukommen und auf einen bereits auf dem Boden fixierten Schwarzen Mann einschlagen. Es werden in der Konsequenz gar weitere Teilnehmende festgenommen. Sie werden der versuchten Gefangenenbefreiung sowie dem Widerstand gegenüber Vollstreckungsbeamten beschuldigt, obwohl sie sich lediglich im Affekt schützend vor die angegriffenen Demonstrant*innen stellen oder ihre Arme zu Abwehr ausstrecken.
Wir sehen im Vorgehen der Berliner Polizei eine systematische Abschreckungsstrategie. Denn natürlich ist es traumatisierend, grundlos Gewalt zu erfahren oder der eigenen Freiheit beraubt zu werden. Man scheint jungen Menschen davor Angst machen zu wollen, sich für die eigenen Rechte und eine gerechte Gesellschaft einzusetzen. Ihren Protest brechen. Dabei zeigt sich, dass AllBlackLivesMatter noch sehr weit von der deutschen Realität entfernt ist.
Wir können nur hoffen, dass diejenigen, die Ziel und Zeug*innen dieser rassistischen Gewalt wurden, sich dadurch nicht etwa aufhalten lassen, sondern sich viel mehr ermutigt und bestätigt fühlen, weiterhin unhaltbare Zustände anzuprangern.
Es ist nicht nur ärgerlich, sondern systematisch, dass die Medien im Anschluss von Gewalt gegen die Polizei sprechen, die in voller Kampfmontur gegen Jugendliche (teils Minderjährige) vorgingen, nicht aber von der Gewalt, die die Jugendlichen erfuhren. Und fast durchweg wird davor zurückgeschreckt zu benennen, was die Bilder uns zeigen: Rassistische Polizeigewalt!
Die Ereignisse vom Wochenende sind unter anderem eine Bewährungsprobe für das frisch vom Berliner Senat beschlossenen Landes-Antidiskriminierungsgesetz, auf dessen Grundlage nach Langem auch diskriminierende (also z.B. rassistische) Handlungen der Polizei geahndet werden müssten. Ob auf den Beschluss des LADG am 4.6. (obwohl es juristisch noch nicht in Kraft getreten ist) politisch Bezug genommen wird, wird zeigen ob es sich beim LADG um mehr als reine Symbolpolitik handelt.
Sollte dieses Vorgehen der Polizei folgenlos bleiben, müssen wir uns vor Augen führen, was die Konsequenz gewesen wäre, hätte ein solches Vorgehen im Rahmen der (sehr weißen) Friday for Futures Demonstrationen stattgefunden. Jugendliche protestieren für ihre Rechte, für ihre Zukunft, für unsere Zukunft – ob bei Klimagerechtigkeit oder Anti-Rassismus.
Wo bleibt also euer Aufschrei bei Rassistischer Polizeigewalt gegen diese jungen Menschen? http://isdonline.de/stellungnahme-zu-rassistischer-polizeigewalt-am-6-6-2020-in-berlin/