ibrahim Bayraktar

„Fragen S’ned so blöd“

Die Schöffen, zwei Männer mittleren Alters, schmunzeln. Denn der Richter verliest Zeitungsberichte aus dem Sommer 1989. Wozu? Die Schöffen begreifen. Wie sehr die Sache damals doch aufgebauscht wurde: “Häftling stirbt nach Schuß aus Gaspistole.” Der Richter macht “huhuhuhu” und zitiert weiter: “Schieber, Schurken, Schläger”. Odysseus nannte sich Niemand, bevor er den einäugigen Riesen Polyphem blendete. Könnte der Türke Ibrahim Bayraktar, 37 Jahre alt, als er starb, noch gefragt werden, wer ihm das angetan hat, müßte auch er wie Polyphem antworten: “Niemand.” Denn alle Personen, die in die Vorfälle involviert waren, die letztlich zum Tod des Häftlings führten, wurden in der…

„ICH SEHE IHN NOCH LIEGEN“

Sie leiden noch heute darunter?” Der Richter beobachtet den Zeugen nachdenklich. Der nickt stumm. Er ist von Beruf Krankenpfleger in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Was jetzt anläßlich der Gerichtsverhandlung wieder über ihn kommt – die Bilder, die Gerüche, die Schreie, das stumpfe Achselzucken, die hilflose und die feige Untätigkeit, das Gefühl, damals dabeigewesen zu sein, als ein Mensch viehisch traktiert wurde, bis es zu Ende ging mit ihm: diese Erinnerungen quälen den Zeugen bis heute. Es quält ihn die Schuld, auch wenn er nicht zu den Angeklagten gehört, die eigene Schuld und die der anderen, der Kollegen und Vorgesetzten, mit und…